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50 Jahre Wikinger-Wanderfahrerabzeichen

1972 hat der damalige Wanderwart Karl-Heinz Westfried im Landeskanuverband Schleswig-Holstein das Wikinger-Wanderfahrerabzeichen aus der Taufe gehoben. Es sollte insbesondere für auswärtige Kanuten ein Anreiz sein, die verschiedenartigen Landschaften Schleswig-Holsteins mit dem Boot zu erfahren und gleichzeitig einen kulturell-historischen Mehrwert bieten.

Die Wikinger haben zu ihrer Blütezeit in Haithabu (von etwa 770 bis Mitte des 11.Jahrhunderts) bei Schleswig einen zentralen Handelsstützpunkt für den Nord- und Ostseehandel betrieben. Die bestehenden Wasserwege in Richtung Ostsee mit direkter Verbindung auf der Schlei als auch Richtung Nordsee mit einigen Kilometern Landtransport bis zur Rheider Au, die bei Hollingstedt in die Treene mündet, und dann weiter auf der Untereider bis zum Meer wurden dabei genutzt und so die Umfahrung Dänemarks eingespart (diese also nicht ganz neue Idee wurde vor 120 Jahren nochmals beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals mit anderen technischen Mitteln und ohne Landtransport umgesetzt).

Was die Wikinger sonst noch so getrieben haben, wird dem Interessierten nicht nur im Wikinger-Museum Haithabu vermittelt, sondern auch im Landesmuseum Schloss Gottorf und im Danevirke-Museum. Das Danewerk (dänisch Danevirke) ist die einstige Grenzbefestigung und war zeitweise auch die Sicherung der Handelswege zwischen Nord- und Ostsee. Ein Teil des Danewerks, der Kograben, wird von einigen Historikern verdächtigt, womöglich sogar zum Transport der Wikingerschiffe vom Selker Noor an der Schlei zur Rheider Au genutzt worden zu sein – die Wikinger sollen zwar (für mittelalterliche Verhältnisse wohlgemerkt) groß und stark gewesen sein, aber dass sie ihre Schiffe über Kilometer durch die Wildnis getragen haben (Bootswagen in der richtigen Größe gab es wohl noch nicht), mag ich mir doch nicht vorstellen. Bin aber auch nur Paddler, kein Historiker.

Bild: Blick von Haithabu aufs Selker Noor

Blick von Haithabu aufs Selker Noor, Bild: Oliver Rausch

Abzeichen seit 1972 – wie lange noch?

In den letzten Jahren sind bedauerlicherweise einige regionale Wanderfahrerabzeichen mangels Nachfrage beerdigt worden, so das Weser-Wanderabzeichen und das Leine-Abzeichen des LKV Niedersachsen. Auch das WWA steht seit einigen Jahren „auf der Kippe“, da bei Teilnehmerzahlen im z.T. niedrigen einstelligen Bereich die Kosten für die vorproduzierten Bootsaufkleber und die eingenommenen Teilnehmergebühren in keinem sinnvollen Verhältnis stehen.

In der Diskussion mit den Wanderwarten im Landes-Kanuverband Schleswig-Holstein fiel dann aber auf, dass es 2022 das WWA seit genau 50 Jahren gibt – eine Verabschiedung ausgerechnet in diesem Jahr wäre also zumindest pietätlos gewesen…

Nun machen wir das anders: 2022 ist das letzte Jahr, in dem es einen Wikinger-Wimpel-Aufkleber mit der entsprechenden Jahreszahl zu erpaddeln gibt – solange der Vorrat reicht. Ab 2023 bleibt das Abzeichen im Angebot, allerdings sind die Aufkleber dann ohne Jahreszahl (und bleiben somit immer aktuell…). Die Wikinger-Medaillen, die bisher erst nach der dritten Wiederholung auf Wunsch erworben werden konnten, stehen ab sofort (gegen Kostenbeitrag) allen paddelnden Wikingern, also auch den Ersterwerbern zur Verfügung – ebenfalls solange der Vorrat reicht.

Dem aufmerksamen bzw. geografisch kundigen Leser fällt auf, dass eigentlich das Eiderstück zwischen Friedrichstadt und der Nordsee zur Reiseroute der Wikinger gehört, jedoch nicht bepaddelt werden muss, um das WWA zu erwerben. Da die tidebeeinflusste Untereider mit ihren besonderen Anforderungen (Nutzung des Tidenkalenders, fehlende Landemöglichkeiten im Notfall durch Schlickufer, ab Tönning sehr starker Strom mit gleichzeitiger hoher Windanfälligkeit) nicht allen Kanuten ohne Küstenerfahrung empfohlen werden kann, wurde davon abgesehen, die Befahrung obligatorisch zu machen. Für Kanuten, die mit den u. a. Rahmenbedingungen vertraut sind, ist eine Befahrung des Eiderästuars von Tönning bis zum Sperrwerk bei ruhigem Wetter allerdings ein Erlebnis mit Seehundsichtungsgarantie.

Die Bedingungen für den Erwerb des Wikinger-Wanderfahrerabzeichens können auf der Seite “Wikinger-Wanderfahrerabzeichen” nachgelesen werden.

Wie ist denn das Gepaddel auf der Schlei so?
Mit hilfreicher Strömung ist nicht zu rechnen, mit Wind hingegen relativ zuverlässig…

Die Erinnerungen an meine erste „Wikingertour“ sind eher nebulös. Das liegt nicht (nur) daran, dass sie bereits 1987 stattfand und der hirnorganische Abbau im Alter (zumindest bei mir) doch voranschreitet, sondern am Wetter. Es war eine Vereinsherbstfahrt mit dem damals neuen Zehner, unser Spartenleiter und Wanderwart in Personalunion Otto hatte uns das Wikingerabzeichen verordnet und wir residierten auf einem Campingplatz in der Nähe von Missunde. Die erste Fahrt auf der Schlei war tatsächlich neblig, es ging immer geradeaus und am meisten Abwechslung kam durch die etwas unkonzentrierten jugendlichen Zehnerfahrer („Huch, jetzt hab ich mein Paddel verloren!“).

Dass es an der Schlei eine durchaus sehenswerte Landschaft gibt (wenn kein Nebel herrscht), habe ich erst Jahre später, als die Wahrnehmung von Gewässern nicht mehr nur vom Warten auf das nächste fahrbare Wehr geprägt war, festgestellt. Die Schlei ist eigentlich ein langer schmaler Ostseearm (eine Förde), der 44 km ins Binnenland reicht und entsprechend zu Beginn kaum salzig ist. Durch die Verbindung zur Ostsee entstehen im Zusammenhang mit windbedingt steigenden und fallenden Ostseewasserständen zwar sichtbare Strömungen an den engeren Stellen, die gefühlte Statistik zeigt aber, dass die Strömung eigentlich immer von vorn kommt… Durch den Fördecharakter ist die Schlei stellenweise sehr breit, an den engeren Stellen wirkt sie wie ein idyllischer Fluss im schleswig-holsteinischen Hügelland. Insbesondere bei Sonnenschein zur Zeit der Rapsblüte zeigt sich dem Paddler eine wunderbare Weitsicht mit leuchtend gelben Hügeln vor leuchtend blauem Himmel und nach der nächsten Biegung bewaldete Steilufer oder malerische Reetdachhäuser dicht am Wasser. Dem Auge wird durchaus viel geboten, wenn´s nicht neblig ist. Die Fahrrinne in der relativ flachen Schlei ist weitgehend ausgetonnt, Berufsschifffahrt findet nur noch als Fahrgastschifffahrt statt. Motorisierte Sportboote sind im Sommer so einige unterwegs, denen sollten wir die Fahrrinne dann auch überlassen und auch die vielen Segelboote im Blick haben.

Bild: Schlei vor Schleswig

Schlei vor Schleswig, Bild: Oliver Rausch

Die Schlei bietet mit ihren oft flachen Ufern viele Lande- und Pausenmöglichkeiten für große und kleine Wikinger, sollte aber bei stärkerem Wind (und den gibt es hier öfter) nicht unterschätzt werden. Der Wellengang variiert dann zwischen unterhaltsam, nervig und für manchen nicht großgewässererfahrenen Paddler bedrohlich. Wer das Wikingerabzeichen anstrebt, sollte die Paddel- und Museumsplanung auf jeden Fall mit der Windvorhersage koordinieren und ggf. den Kulturteil der Reise an die Windvorhersage anpassen. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es ausreichend in Form von einigen Camping- und Biwakplätzen an der ganzen Schlei. Leider existiert der wunderbare Platz der Schleswiger Kanuten in Missunde nicht mehr, das Gelände wurde an einen Investor verkauft und soll seit Jahren bebaut werden, ist aber immer noch eine Brache. Auf jeden Fall sollte der Schleipaddler Schleimünde besuchen. Hier trifft die Schlei nach einer schmalen Durchfahrt auf die Ostsee und direkt an der Mündung befindet sich ein von Seglern und Paddlern gern genutzter Wasserwanderrastplatz mit sanitären Einrichtungen und Gastronomie (mit dem vertrauenerweckenden Namen „Giftbude“), der nur auf dem Wasser erreichbar ist. Hier kann man sich den Ostseewind um die Nase wehen lassen und fernab von jeglichem Straßenlärm direkt neben einem Naturschutzgebiet sein Zelt aufbauen.

Ambitionierte Paddler können bei ruhigen Wetter bzw. Schiebewind (meist aus West) die gesamte Schlei an einem Tag abhaken. Wer die abwechslungsreiche Landschaft genießen möchte oder mit Kindern unterwegs ist, sollte sich mehrere Tage dafür Zeit nehmen, einige Landgänge einplanen, in Missunde ein Fischbrötchen essen (oder zwei), in Arnis durch die kleinste Stadt Deutschlands bummeln (ist ja nicht so weit), in Lindaunis der Eisenbahnklappbrücke bei der Arbeit zusehen und bei Schleswig das Haddebyer und Selker Noor erkunden. Noore sind kleine, seenartige Nebengewässer der Schlei mit meist nur einer schmalen Wasserverbindung. Direkt am Haddebyer Noor liegt das Wikingermuseum Haithabu, das so auch per Kajak erreichbar ist. Obacht: Am Noorufer ist das Anlanden nicht erwünscht, bitte zum Museumsbesuch vorher aussteigen, nicht am Anleger vor den nachgebauten Wikingerhäusern …

Bild: Rast am Strand der Schlei

Rast am Strand der Schlei, Bild: Oliver Rausch

Und nun zu etwas völlig anderem: Die Treene

Die Treene entspringt bei Flensburg und mäandert zunächst als naturbelassener Kleinfluss mit reizvoller Landschaft und erheblichem Leihbootverkehr bis Treia. Danach verlässt sie nach wenigen Kilometern die Geest und tritt in die Marschlandschaft ein, gleichzeitig lässt die Strömung nach und die Kurvenradien werden größer.

Die Wikingerreise führt uns von Hollingstedt knapp 30 km bis zur Mündung in die Eider bei Friedrichstadt. In Hollingstedt erinnert nichts mehr an den einstigen Umschlaghafen der Wikinger und die kurz unterhalb von links einmündende Rheider Au erweckt nicht den Anschein, dass auf ihr Wikingerschiffe noch ein paar Kilometer nach Osten gefahren (gesegelt? gezogen worden?) sein könnten. Schmal und im Sommer zugewachsen und verkrautet bringt sie der Treene noch etwas Zuschußwasser. Der Marschfluss wird schnell deutlich breiter, die Strömung geht bald gegen Null und ist nur spürbar, wenn in Friedrichstadt Wasser in die Eider abgelassen wird. Die Treene sammelt das Wasser aus den tiefliegenden Marschen, das über Schöpfwerke in den Fluss geleitet wird. Ab Hollingstedt ist die Treene eingedeicht, weil die von der Nordsee beeinflussten Gezeiten einst bis hierher aufgelaufen waren, bevor in Friedrichstadt die Schleuse zur Eider gebaut wurde.

Auch mein erster Eindruck von dieser Wikinger-Paddelstrecke war 1987 nicht so, dass es mich dringend wieder hingezogen hätte. Statt Nebel gab es nun reichlich Regen, das Verschwinden der Strömung fiel uns schnell auf, das Verschwinden der Landschaft hinter den Deichen ebenso und natürlich hatten wir Gegenwind und die Strecke zoooog sich. Auch spätere Befahrungen der unteren Treene mit gereifter Wahrnehmung und Freude an der Weite der Landschaft, den weit geschwungenen Kurven, den vielen Schafen und Kühen am Ufer und den in der Ferne immer mal wieder sichtbaren Geesthügeln ändern nichts daran, dass die Schlei das eindeutig abwechslungsreichere Revier ist.

Bild: Grachtenfahrt Friedrichstadt

Grachtenfahrt Friedrichstadt, Bild: Oliver Rausch

Der Standortvorteil der Treene ist die Ruhe – nicht nur beim Paddeln (der Leihbootverkehr im Unterlauf ist gering, Fahrgastschifffahrt findet nur auf den letzten Kilometern von Friedrichstadt aufwärts bis Schwabstedt statt). Wer auf dem Biwakplatz in Fresendelf (hinter dem Deich in einem kleinen Wäldchen mit rustikalem Torfplumpsklo) übernachtet, kann am Abend auf dem Steg an der Treene sitzen, den vollen Sternenhimmel betrachten und die Stille hören. Ausgesprochen entschleunigend und entspannend – vor allem, wenn man tagsüber den eigenen Nachwuchs bei Laune halten musste („Papa, ist es noch weit?“ „Eigentlich nicht, wenn wir mal zügig paddeln würden, wären wir bald da….“ „Mir ist langweilig, erzähl mir was!“ „Horch doch mal, wie schön die Grillen zirpen.“ „Mir ist langweilig, wann sind wir da? … Können wir „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ spielen? Oder Du erzählst mir noch eine Geschichte…“ „Ächz“).

Schwabstedt ist für alle Reisenden eine optische Auflockerung in der grünen Weite und mit Badeanstalt, Imbiss und Eisverkauf direkt am Fluss und Zeltmöglichkeit besonders für den Nachwuchs eine Attraktion. Nach einer weiteren Kurve geht es dann auf die letzten 7 km bis Friedrichstadt, wo dank holländischer Städtebauer die mittlerweile sehr breite Treene in mehrere Grachten aufgeteilt die Stadt durchzieht und ganz andere Erlebnisse bereit hält als die letzten Stunden in Ruhe und Weite. Die schmalen Grachten führen teilweise direkt an den Straßenzügen entlang und sind bei gutem Wetter voll mit Leihbootnutzern, SUP-Paddlern und natürlich Fahrgastschiffen, so dass der Paddler nach zwei Tagen der einsamen Beschaulichkeit auf einmal ganz viele Menschen aus der Nähe sieht und Geräusche fahrender Autos hört (unsere 7jährige Tochter sagte nach zwei Tagen Treene bei der abschließenden Grachtenfahrt: „Können wir jetzt bitte weiterpaddeln? Ich werd hier ganz rappelig!“).
Zum Ende der Fahrt bietet sich der Campingplatz direkt an der Treene an, der gleichzeitig am Eiderdeich liegt, so dass mit wenigen Schritten der Blick über die tidebeeinflußten Eidermarschen und den hier noch relativ schmalen Eiderstrom schweifen kann…als Ausklang der Reise oder zur Vorfreude auf die Weiterfahrt Richtung Nordsee.

Warum sollte man also das WWA erwerben?

  • weil zwei völlig unterschiedliche Landschafts- und Gewässertypen erfahren werden, die nur wenige Autokilometer voneinander entfernt sind
  • weil es ein richtiges Kanusportabzeichen ist, bei dem einem nichts geschenkt wird und jeder Kilometer selbst erarbeitet werden muss
  • weil man sonst nicht in eines der Museen gehen und sich mit Kultur und Geschichte „drumherum“ befassen würde
  • weil es nicht immer neblig und regnerisch ist und der Wind sogar manchmal von hinten kommt
  • weil Eure Kinder viel mehr Lust auf Wanderpaddeln haben, wenn Ihr zu einem Wikingermuseum paddelt
  • weil es rund um Schlei und Treene noch viele andere paddelnswerte Gewässer und gastfreundliche Kanuvereine gibt, die einen längeren Urlaub in Schleswig-Holstein lohnend machen
  • weil Schlei und Treene-Unterlauf auch in trockenen Sommern und mit größeren Gruppen problemlos befahrbar sind und
  • weil Paddler im Grunde ihrer Herzen alle große, starke und tapfere Wikinger sind

Oliver Rausch